Kolumne: NearFall #2 – Wie alles begann … (10.02.2018)

Rund um Wrestlingevents unterhalte ich mich natürlich oft und gerne mit Fans, deren Blick und Meinung auf das jeweilige Produkt mich immer sehr interessiert. Immerhin fühlt sich ein wXw-Event in Bielefeld ganz anders an als in der Markthalle Hamburg oder in der McDonalds-Arena in Lippstadt (was nicht wertend gemeint sein soll). Ganz zu schweigen von Bookings bei anderen Promotions, die ich nach langer „Exklusiv“-Zeit in 2018 wieder haben werde. Eine der Fragen, die mir von Fans am häufigsten gestellt wird ist, wie ich eigentlich dazu gekommen bin ausgerechnet Wrestling-Ringrichter zu werden. Quasi ganz nach dem Motto „Warum hat der arme Junge denn nichts vernünftiges gelernt“. 😉

Heutzutage weiß man, als angehender Ringrichter meldet man sich bei der Wrestling Academy in Essen oder einer anderen renommierten Wrestlingschule, um die Grundlagen unseres schönen Unterhaltssports zu erlernen und einen geraden Weg zu seinem Ziel zu gehen. Bei mir hingegen führt die Geschichte zurück bis in Zeiten, in denen eine professionelle Ausbildung in einer festen Location noch nichtmal vorstellbar war: In das letzte Jahrtausend, genauer gesagt in das Jahr 1999. An einen denkwürdigen Tag, zu einem denkwürdigen Ort (zumindest aus der heutigen Rückschau betrachtet) …

Ich erinnere mich an 16 Fans (inklusive mir), die sich in der „Arena Borbeck“, mitten in einem Park im Essener Nordwesten, eingefunden hatten. In den 50er Jahren boxte hier Max Schmeling vor tausenden Menschen, im September 1999 hieß es „German Wrestling Superstars“ … ein nicht so ganz passender Name. Als damals Jugendlicher ohne Internetanschluss besorgte ich mir Monat für Monat fleißig die Power Wrestling, zuerst am Bahnhofskiosk, später konnte ich den „Kiosk um die Ecke“ von einer entsprechenden Sortimentserweiterung überzeugen. Während es dort sonst nur um WWF, WCW und etwas ECW ging, wurde in einem damals seltenen Bericht aus der eigenen Region genau jener Wrestlingevent mit einem winzig-kleinen Artikel beworben. Als Essener war es Ehrensache für mich zwei Schulfreunde zu überreden mitzukommen, in die Straßenbahn Richtung Essen-Borbeck zu steigen und mir diesen Event anzusehen. Es sollte also mein allererster, früher Kontakt mit „der Szene“ werden.

Die Arena Borbeck mit mehreren tausend Plätzen (auf einfachen Steinstufen), befindet sich einfach mitten im wirklich schönen Schlosspark (übrigens ohne jegliche trennende Absperrung). Inklusive meiner Begleiter saßen dort also 16 Fans in vielleicht drei Grüppchen im riesigen Rund verteilt. In der Mitte eine große freie Fläche, in deren Herz ein einsam wirkender Boxring, ein Tisch mit einem CD-Player mit Boxen und zwei Stühle standen. Ein ganz schön leerer Anblick, wobei eine Dame von den selbst ernannten Superstars rumging und ungefähr 5 Mark Eintrittsgeld von jedem einsammelte. Anschließend wurde mitgeteilt, dass „die Berliner“ noch nicht da wären, man jedoch nach einiger Verzögerung jetzt trotzdem mal anfängt. Soweit, so gut …

Im Ring standen an diesem Tag „Der Ripper“ Michael Ripp und „Der Legendäre“ Thomas Blade, an die sich vermutlich die wenigsten Leser heute noch erinnern werden. Ich glaube mangels Alternativen bestritten beide im Laufe des Nachmittags jeweils 3 bis 5 Matches, zumindest gefühlt. Diese beiden hatten für „EuroWrestler“ anno 1999 durchaus Talent und begegneten mir in der Zukunft noch das ein oder andere Mal, bei Ripp sogar auf sehr wichtige Art und Weise! Alle anderen Aktiven, wie „Killerinstinct“ oder „Blooddogg“, blieben mir nicht in Erinnerung und waren danach nie wieder gesehen.

Als nach einer Stunde Showdauer endlich der Van aus Berlin eintraf war die Wrestlertruppe sichtlich erleichtert. In diesem saß nach meinem Gefühl anscheinend eine Großfamilie, die direkt nach der Ankunft dann auch „Matches“ gegeneinander bestritten. Mit Gimmicks wie „Der Philosoph“, der nach dem Ringgong erstmal gefühlte 20 Minuten lang aus einem Buch vorlas. Was ihm augenscheinlich auch wesentlich mehr Spaß bereitete als Bumps (die bei den Rahmenbedingungen niemand gerne nehmen wollte) auf den extrem harten Holzboden zu nehmen. Einen etwas besseren Eindruck machte Doc Holiday auf mich, ein extrem rundlicher, lustiger Typ im Hawaiihemd, der seine Musikanlage am Ring bediente. Doch das coolste an Doc Holiday war, dass er sich während der Veranstaltung einfach Mal „in den Urlaub“ verabschiedete, um „rein zufällig“ knapp zu verpassen wie fünf Minuten später ein schwarz-maskierter exakt genauso extrem rundlicher „Monsterheel“ zu seinem Kampf raus kam. 5 Minuten nachdem der Kampf beendet war kam der rundliche Doc Holiday zufällig wieder zurück an seinen Platz. Ähnlichkeiten waren wohl rein zufällig.

Doch kommen wir endlich wieder zurück zum eigentlichen Thema, denn es war von einem „denkwürdigen Tag“ die Rede, nur davon hatte ich zum damaligen Zeitpunkt und unglaublicher Weise auch noch Jahre später absolut keine Ahnung. Erst als wXw Headreferee Tassilo Jung viele Jahre später ein Buch geschrieben und veröffentlicht hatte, bemerkte ich was ich von diesem Tag bis dato alles nicht wusste: Dort hatten sich Wege gekreuzt, die viele Jahre später noch einmal extrem wichtig für die Zukunft des Wrestlings hierzulande werden würden …

Während meine Freunde und ich nach der Veranstaltung noch mit Michael Ripp sprachen (und er mir im Ring einen Reverse Piledriver verpasste, um zu zeigen wie harmlos Wrestling doch ist und das wir alle uns gleich zum „Wrestlingunterricht“ bei ihm anmelden sollen), sprach auf der anderen Seite des Boxringes Thomas Blade mit einer anderen Gruppe von Zuschauern – das heißt fast allen anderen anwesenden Zuschauern, außer uns.

Erst viele Jahre später als ich das Buch von Tassilo – er mittlerweile Headreferee, ich Referee und sein Student im damaligen Westside Dojo – in der Hand hielt erfuhr ich wer mir damals schon über den Weg gelaufen war. Es waren damals Tas selbst, der zweite zukünftige wXw-Referee und Moonsault.de-Begründer „Soulfly“ Alexander Erven und wXw-Ringsprecher Thommy Gießen, die genau an jenem Tag ebenfalls ihre erste Eurowrestling-Erfahrung sammelten und entscheidende Kontakte geknüpft hatten.

Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass es für die anderen drei der unmittelbare Beginn ihrer Laufbahn sein sollte: Tas und Soulfly als Referees sowie Thomas Gießen als Ringsprecher sollten keine 2 Monate später für Blade & Ripp bei einer Show ähnlicher Größenordnung spontan ihr Debüt feiern. Hingegen war das für mich nur der Tag an dem mir klar wurde, dass das damalige „Eurowrestling“ nicht mein Fall war und T-Shirt-Kindercatcher meinem Sport einfach nur Schaden zufügen können, so dass es in der Konsequenz bei mir bis Sommer 2002 dauern sollte, bis ich den nächsten Berührungspunkt mit „Wrestling made in Germany“ hatte, weiterhin als Fan. Der Kontakt dieses Tages sollte dennoch entscheidend für mein weiteres Leben sein.

Eine junge Liga namens wXw hatte damals mit dem ehemaligen WWE Superstar Jake „The Snake“ Roberts den ersten richtig großen Namen verpflichtet und ich entschied mich dem „EuroWrestling“ eine zweite Chance zu geben. Und so betrat ich eine Essener Keller-Disco pünktlich zum Showstart, in der direkt alle Blicke auf mich gerichtete waren … was sich Sekunden später damit erklärte, dass der Zuschauereingang zugleich auch der „Entrance“ für die Aktiven war, und gerade der erste Wrestler aus meinem Rücken kommend an mir vorbei zum Ring schritt. Dieses Mal bekam ich einem komplett anderen Eindruck. X-Dream, Jonny Storm, Luchadore Sitoci (heute Emil Sitoci) und Steve Taurus veranlassten mich dazu zum regelmäßigen Besucher der frühen wXw-Events in dunklen Kellernachtclubs in der Essener Innenstadt zu werden. Ich verpasste im Nachgang kaum eine wXw-Show und war immer ringside zu finden. Meine Begeisterung war da und ich schleppte regelmäßig Freunde und Bekannte mit in die „MuPa“, um zu zeigen was es auch in deutschen Ringen so alles zu erleben gibt.

Meine ersten Schritte als Referee sollte ich dann im Sommer 2003 machen. Von der harten Treppe in der Arena Borbeck bis in einen wXw-Ring sollte es sogar mehr als 10 Jahre dauern. Ein jahrelang unerreichbar geglaubter Traum, der damals wahr wurde.

Doch zunächst zurück in das Jahr 2003: Damals betrieb ich mit Wrestling-Total.de eine der größten Websites in der jungen Welt des deutschsprachigen Wrestling-World Wide Web mit gut belebtem Forum und Newsboard. Das Konzept der Seite war es mehr zu bieten als andere, wie z.B. ein Wrestling- „Wer wird Millionär“, ein „Wrestlingtrash“-Bereich, Gewinnspiele oder exklusive Interviews mit Leuten wie Alex Wright oder Buff Bagwell. Zu jener Zeit hörte ich davon, dass ein gewisser Michael Ripp plante „die größte EuroWrestling-Show aller Zeiten“ zu veranstalten. Da die großen Seiten wie Moonsault.de damals tatsächlich nur über das US-Mainstreamwrestling berichteten und die Wrestlingwelt vor der Haustür beinahe komplett ignorierten, wollte ich hiermit etwas für die lokalen Ligen tun und die Berichterstattung auf der selben Ebene und mit derselben Wertigkeit liefern, wie die News aus den großen Ligen der USA und so neue Fans für wXw und Co dazu gewinnnen.

Dementsprechend wollte ich über diese Geschichte der möglichen XXL-Show in Deutschland groß berichten. Und so kontaktierte ich den Mann, der mich schon mit 14 zum „Profi-Wrestler“ ausbilden wollte, was spontan zu einem Treffen führte. Und zwar im edlen Ambiente eines Hauptbahnhof-McDonalds zu einem BigMac-Menü. Der Mann sprühte vor Begeisterung (er konnte wirklich sehr überzeugend sein, dazu später mehr) über sein Projekt:

In Recklinghausen erwartete er tausende von Zuschauern zum größten Event, das Wrestling-Deutschland je gesehen hatte. Und einen Headliner habe er auch schon. Einer der fantastisch sei, den er mir als „Journalist“ aber natürlich nicht verraten werde. Innerhalb von 10 Minuten änderte sich seine Meinung und Ripp verkündete mir (gegen das feierliche Versprechen Stillschweigen zu bewahren), dass der Main Event dieser mittlerweile in seinen Worten „größten Veranstaltung aller Zeiten“ Michael Ripp vs. Jeff Jarrett lauten werde. Ein Bekannter von ihm sei ein entfernter Cousin von Jarrett, deshalb kämpfe der mehrfache World Heavyweight Champion der erst vor kurzem geschlossenen WCW beinahe für umsonst für ihn.

Meine Website Wrestling-Total.de wurde später (2005) zu „Die Euro-Wrestling-Seite“

Zweifellos eine interessante Story für meine aufstrebende Website … natürlich wurde aus dieser Sache nie irgendetwas und Ripp ging als der Typ in die Geschichte ein, der über Jahre hinweg immer wieder kleine „Wrestlingschulen“ in den Schulturnhallen jeweils unterschiedlichsten Ruhrgebietsstädte erfolglos ins Leben rief. Es kam dort zu „finanziellen Unregelmäßigkeiten“. Das Ende der Karriere von Michael Ripp.

Nebeneffekt unseres Treffen damals war auf jeden Fall, dass er daraufhin den Kontakt hielt und mich so überzeugte zu einem Training von BSE (Best Sports Entertainment) zu kommen. Mit den heutigen Verhältnissen hatte dies nichts zu tun, das ganze fand in einer Schulturnhalle in Duisburg statt, wo mehrere Matten umgeben von Sprungkästen (bei denen man so tat als hätten sie dieselbe Wirkung wie Ringseite) aufgebaut waren. Ich schaute mir das Training an, aber es war klar, dass ich den Wrestlingsport viel zu sehr liebe, als das ich der nächste magere Teenager sein wollte, der ohne großes Talent einen „Profi-Wrestler“ mimt. So etwas sorgt leider auch heutzutage noch dafür, dass Menschen ein negatives Bild vom Sport bekommen (so wie ich es einst 1999).

Ich lehnte also seinen erneuen Versuch, mir Wrestlingtraining zu verkaufen, ohne zu zögern ab. Nur wenige Tage danach erhielt ich einen Anruf mit einem Hilferuf: In zwei Wochen gäbe es eine Show, für die er unbedingt einen Ref benötige, und er glaube ich sei der Richtige für den Job. Spätestens seit den nWo vs. WCW-Zeiten (damals gab es viele große Screwjob-Refbump-Finishes) war ich fasziniert von guten Referees, die unter dem Blick von tausenden Fans einen 3-Count zum Sturm der Begeisterung oder Entrüstung zählen.

Ich sagte also spontan zu und machte nach einer viel zu kurzen Einweisung tatsächlich mein Debüt als Ringrichter in der Zeche Carl in Essen, damals vor rund 100 Zuschauern. In meinem ersten Match besiegte ein Teenager namens „Faith“ seinen Gegner Baal (der übrigens als wichtiger Helfer bis heute bei wXw dabei ist) mit einer Swantonbomb. Die Show (in der Michael Ripp sich mit einem Turnier zum BSE World Heavyweight Champion machte, obwohl in Thomas Blade im Halbfinale ordentlich shoot-vermöbelt hatte, war es ihm sogar so wichtig, dass er am nächsten Tag unbedingt noch einen Bonusevent veranstalten musste.

Der Titel am Folgetag: „The Day after BSE Wrestlefest“.
Location: Ein Fußball Ascheplatz mit aufgebautem Ring und Grill
Zuschauerzahl: Null

Alle gebuchten Leute wie Darksoul oder Martin Nolte fuhren also mangels eines einzigen Zuschauers an diesem zweiten Showtag unverrichteter Dinge nach Hause. Das sie schon am Vortag anscheinend nur teilweise bezahlt worden waren machte ihre Stimmung nicht besser. Die BSE-Jungs zogen ihre Matches auch ohne Zuschauer durch, wobei ich alle leiten durfte.

Dieses Wochenende war dann der Punkt, an dem ich entschied, dass dieses Projekt absolut nicht unterstützenswert war. Ich beendete meine Refereelaufbahn nach zwei Wochen Training und zwei Veranstaltungen. Ich blieb jedoch bis heute Wrestlingfan, besuchte in der damaligen Zeit jede wXw-Show (damals waren alle in Essen) und machte meine Wrestlingwebsite später zur ersten tagesaktuellen „Eurowrestling-Seite“. Erst als andere Webseiten endlich begannen in ihren Newsboards über europäische Ergebnisse zu schreiben und es die ersten Biografien und Interviews mit europäischen Wrestlern auch dort erschienen, war meine Arbeit hierbei getan.

Doch wie kam ich zurück in den Wrestlingring?
Dazu mehr heute zwei Wochen bei der dritten Ausgabe von Nearfall! Themen: Wie 393 Zuschauer von einem Event flüchteten. Wer mit einem Finger im Po fast Deutscher Meister wurde. Welcher Ex WWE Superstar mich zurück lockte. Und natürlich wie und wann ich in der wXw landete.

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Markus Weiß

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