Kolumne: Ultrawrestling #4 – „Die Blinden werden sehen“ (08.04.2017)

Als Sports Entertainer versuche ich immer gut vorbereitet sein. Ich habe gelernt dass Professionalität bedeutet, immer so gut wie möglich vorbereitet zu sein. Über die Gegebenheiten in denen ich auftreten soll informiert zu sein. Welche Leute erwarten mich? Wer sind sie, was haben sie gemacht? Wie ist die Geschichte des Ortes wo ich auftrete? Es gibt einige Fragen, die man sich stellen kann und ich versuche sie mir vor einen Auftritt zu beantworten.

Für einen Pro Wrestler ist es auch keine schlechte Idee seine Kampf-Bekleidung griffbereit zu haben. Darüber gibt es zwar auch unterschiedliche Meinungen, aber es kann nicht schaden ein spezielles „Wrestling-Outfit“ dabei zu haben. Ich habe meine Tour-Sachen meistens gut vorbereitet. Aber trotz aller Vorbereitung: Es kann auch anders kommen, und damit muss man klarkommen!

Vor einigen Jahren war ich an einem Freitagabend bei meiner damaligen Freundin. Ich mag es eine gute Zeit mit einem lieben Menschen zu verbringen. Doch andererseits, und das klingt merkwürdig, mochte ich es nicht, dass ich nicht im Ring arbeiten konnte. In Deutschland ist das Wochenende zumeist die Zeit für das Wrestling. Aber ich hatte damals keinen Spot (keinen Auftritt). Also machte ich das Beste daraus und hatte einen gemütlichen Filmabend.

Ihr kennt das sicher: Ein oder zwei schöne Filme. Der zweite Film wird meistens „rein zufällig“ ein Horrorfilm – und der Horrorfilm ist natürlich das Stichwort, wenn nicht zum Knutschen. (Wenn nicht sogar ein Synonym dafür.) Und dann machen Männer und Frauen natürlich das, was Männer und Frauen so machen. Letztendlich kann man dann erst am Morgen schlafen.

Ich hatte so eine Nacht – und nach etwa einer halben Stunde Tiefschlaf, morgens, klingelte das Telefon. Meine Freundin drückte mir schlaftrunken das Telefon ins Gesicht, und ich weiß nicht wie ich die Annahmetaste betätigte. Ein Booker war dran und meinte, ob ich nicht für einen ausgefallenen Wrestler einspringen könnte. Er nannte mir eine Uhrzeit und ein Ort, und fragte, ob ich zu dieser Uhrzeit dort sein könnte. Ein Auto würde mich abholen und zu der Veranstaltung fahren.

Das geht klar, meinte ich nur. Nachdem ich kurz noch überlegt hatte, ob das real war, konnte ich endlich meine Augen öffnen und sah auf die Uhr. Der Ort wo ich abgeholt werden sollte war bei gutem Verkehr eine Stunde entfernt. Es war 45 Minuten vor dem Zeitpunkt zu dem ich zugesagt hatte. Das war eine Herausforderung. Ich musste gegen die Uhr arbeiten!

Ich griff meine Tasche, die ich vorbereitet hatte, lief halbnackt das Treppenhaus runter – ok, ich war eher die eine Hälfte des Treppenhauses nackt und die andere Hälfte angezogen – und rannte zu meiner Bahn. Ich weiß nicht wie, aber der Verkehr war so gut, dass ich zu früh kam. Das Auto, welches mich abholen sollte, war noch nicht da.

Etwas später war ich dann zwischen zwei Schwergewicht-Kollegen auf dem Rücksitz eines viel zu kleinen Autos eingequetscht. Und ich liebte es! Meine schlimmste Wrestling Tour habe ich mit 43 Cent in der Tasche begonnen. Aber diesmal hatte ich Glück und etwas Bargeld in der Tasche. Während meiner Bahnfahrt zu dem Treffpunkt bemerkte ich, dass ich zwar die Tasche mit meiner Kampf-Bekleidung mitgenommen hatte, allerdings fehlte der Teil aus meiner Tasche in dem sich mein Rasierer und die Sachen, die ich für mein Facepaint brauchte. Keine Farbe.

Also kaufte ich während der nächsten Tourpause auf einen Autobahn-Rasthof erstmal Rasierzeug, damit ich meine Haare frisieren konnte. Als „Slinky“ habe ich eine spezielle Frisur: Ich bin kahlrasiert. Nur ein schwarzes Haarbüschel ziert meinen Kopf, was schon etwas verrückt ausschaut. Und diesen Hingucker zauberte ich nun auf der Toilette einer Tankstelle, während meine Kollegen sich ihr Essen schmecken ließen.

Ich trage ein Facepaint. Und der Promoter wollte mich als „Slinky“ mit Facepaint. Also musste ich die Farben dafür besorgen. Ich hatte Glück – Nicht schlecht was es alles bei Tank und Rast zu kaufen gibt. Eigentlich benutze ich nur spezielle professionelle Farben für mein Facepaint, die auch sehr kostenintensiv sind. Hier hatte ich aber billige Kinderschminke.

An dieser Stelle muss ich etwas von meinem Tour-Bericht abkommen. Denn mit einem Facepaint hat man es im Wrestling-Geschäft manchmal nicht leicht. Es gibt immer ein paar Waschweiber, die über alles und jeden lästern, und auch solche, die sich über Farbe auf ihre Bekleidung beschweren und das gigantischste Fass aller Zeiten aufmachen. Auch Champions. Stellt Euch das mal vor: „Ich bin der größte Champion aller Zeiten, ich kämpfe gegen jeden, besiege alle. Aber ich habe Angst, dass jemand mein Höschen bekleckert!“ Echt? Wie lächerlich.

Gott sei Dank, ist das Gros der Sports Entertainer professionell – die meisten sind echte Kerle, die auch mit unangenehmen Situationen positiv umgehen können. Und sich nicht wie gackernde, aufgescheuchte Hühnchen verhalten.

Einer dieser coolen, professionellen Typen war der Niederländer Lloyd Patterson, gegen den ich im Februar 2013 bei westside Xtreme wrestling antrat. Während des Kampfes habe ich ihn halb umgefärbt. Und ich habe kein schlechtes Wort von ihm über mich gehört. Ich habe ihn danach einmal getroffen und darauf angesprochen. Und er reagierte wirklich sehr positiv.

Ich denke, und ich habe es gelernt, dass es als professioneller Wrestler sehr wichtig ist, auch mit unerwarteten und unangenehmen Dingen klarkommen zu können. Und zwar in einer positiven Weise.

Zurück zu meiner Tour:
Unsere Autofahrt zog sich wegen eines Staus immer länger. Wir kamen genau zur Show-Eröffnung an. Genauer gesagt hatte der Einlass schon vor etwa einer Stunde begonnen. Die Leute waren gespannt auf die Show. Meistens beginnen Wrestling-Events mit zwei „Color-Guys“. Bunte, auffällige und sehr gimmicklastige Typen. Ich bin einer von ihnen, und so stellte ich fest, dass ich in 2 Minuten dran war. Ich hatte genau zwei Minuten um mich umzuziehen, mein Facepaint aufzutragen und mich warm zu machen. Wer war mein Gegner. Ich hatte keine Ahnung.

Wisst ihr was Entenfüße sind? Ich musste so schnell sein, dass ich nur eine Chance hatte meine Wrestling-Stiefel anzuziehen. Leider war es jeweils der falsche Stiefel am falschen Fuß. Und so bewegte ich mich wie eine Ente watschelt zum Spiegel in der Umkleide, um meine Gesichtsbemalung aufzutragen. Ich habe ein komplett weiß bemaltes Gesicht, mit einem schwarzen Mund, schwarzen Zähnen und einer blau- oder grüngefärbten Zunge. Ich trug die Farben auf und strich auch mit dem Pinsel im Bereich meiner Augen. Verdammt, brannte diese Kinderschminke, die ich in der Tankstelle erworben hatte.

Mein Gegner war schon vor kurzem in den Ring gerufen worden. Nun wurde ich am Arm gezogen. „Du bist dran, Du musst jetzt raus!“ Also schloss ich kurz nochmal die Augen, stand auf und begann rauszugehen. Als ich aber die Augen öffnete, hatte ich nur noch diese verdammte „Chemikalien-Farbe“ in meinen Augen. Meine Musik ertönte und ich riss einen Vorhang auf. Die Menge jubelte, ich stürmte heraus! Aber ich konnte nichts sehen !!!

Genau in diesem Moment lernte ich dem Publikum zuzuhören. Ich konnte mich an den Geräuschen orientieren, umrundete den Ring, machte eine Pose und betrat unter enorm lauten Publikumsreaktionen das Seilgeviert. Danke für die Hilfe!! „Aber wie geht es weiter?“, fragte ich mich. Ich konnte meinen Gegner nicht sehen. Wie sollte ich es sehen, wenn er mich angreift und mich vor seinen Angriff schützen? Würde es nicht ziemlich dumm aussehen, wenn ich einfach nur dastehe und er mich umhaut?

Die Zuschauer begannen den Saal richtig einzuheizen. Der Ringrichter startete den Kampf. Ich bewegte mich immer schneller im Uhrzeigersinn um die Ringmitte. Und genau da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Blitzschnell wechselte ich die Richtung und erwischte meinen Gegner mit einem Schlag ins Gesicht. Ich hatte Zeit gewonnen. Ich rettete mich in die Ringecke und ließ mir durch den mich ermahnenden Referee ein Tuch zum Auswischen meiner Augen zukommen. Es half kaum. Ich wrestlete das Match blind.

In meiner über sieben Jahre langen Ausbildung zum Pro Wrestler habe ich einiges gelernt. Auf vieles kann ich mich gut vorbereiten. Beispielsweise kann ich kämpfen ohne vernünftig zu atmen. Ich sehe noch genau meinen Trainer Flying Dragon vor mir, wie er mir sagte, ich 200 Rollen machen – und 10 mehr, und 10 mehr… Und trotzdem noch klarkommen und vernünftig danach catchen können. Ich hatte genau diese Situation im Ring. Ich fiel bei einer missglückten, wirklich abgefuckten Aktion vom Ringseil rücklings auf den Ringboden, wobei ich tief einatmete. Die Folge war ein metallisches Geräusch was schmerzhaft durch meinen Körper bis in meinen Kopf drang, und, so tief ich auch Luft in mich einsog, ich konnte nicht atmen. Wie bei Karate Kid sah ich damals meinen Trainer vor mir – und die vielen Rollen, die er mich machen ließ. Und ich verstand. Ich konnte nicht atmen, aber ich stand auf und machte weiter.

Das Match während dieser Tour führte ich ordentlich zu Ende. Ich verlor zwar das Match, aber ich gewann eine neue Erfahrung. Ich jammerte nicht rum, sondern nahm es professionell. Als Sports Entertainer versuche ich immer gut vorbereitet sein. Und ich habe gelernt gelernt, dass Professionalität auch bedeutet, dass man mit Dingen, auf die man sich nicht vorbereiten kann, klarkommen muss. Und das in einer positiven Weise.

SLINKY

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